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22. Mai 2018 / Vertrauen und Träume (I)

Eine gemischte Tüte Träume, bitte!

Tante-Emma-Laden, Mittelpunkt der Umgebung und Nachbarschaftstreff - ein Kiosk ist immer noch ein Ort mit Charakter, an dem das Verhältnis von Kunden und Verkäufern etwas Besonderes ist. Freundschaftlich. Persönlich. Vertrauensvoll.

Vier Uhr morgens in Ückendorf im Süden Gelsenkirchens: Es riecht nach einer Mischung aus Bratfett und Mäusespeck in der Trinkhalle Tölle. Betreiberin Manuela steht verträumt in der Küche ihres Kiosks und bereitet Schnitzel und Frikadellen zu. Wie jeden Morgen. „Der Kiosk war schon immer meins“, sagt sie. Seit mittlerweile 23 Jahren hat sie sich diesen Traum zusammen mit ihrem Mann Dieter erfüllt. Doch sind das die Momente von denen sie damals geträumt hat? „Wenn der Wecker jeden Morgen um halb vier klingelt und man dann mit dem Braten anfängt, dann braucht man schon Leidenschaft“, erklärt sie. Um halb sechs gehen hier die ersten Leckereien über die Theke.

 

Wenig später schließt auch Ralf Olk im Norden Gelsenkirchens seinen Kiosk auf. Der 57-jährige stammt aus einer Bueraner Bergmannsfamilie und entschied sich zunächst für eine Zukunft in der Zeche Hugo. Den Job musste er nach zwei Jahrzehnten wegen starker Rückenschmerzen jedoch aufgeben. „Zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich mein Traum von meinem eigenen Kiosk und Lottoladen.“, sagt er rückblickend. Vor 20 Jahren realisierte er seinen Traum. Doch dieser bringt bis heute Schattenseiten mit sich. Olk steht jeden Tag 13 Stunden hinter der Theke seines Ladens. „Das ist ein harter Tag, klar!“, sagt er. Trotzdem bereut er diese Entscheidung in keiner Weise. „Ich habe diesen Weg gewählt und werde ihn auch weitergehen.“, so der Kioskbetreiber.

 

Persönlicher Kontakt zu den Menschen

„Tante-Emma-Laden, Mittelpunkt der Umgebung und Nachbarschaftstreff“, so beschreibt Manuela Tölle ihren Kiosk in drei Worten. Tatsächlich geht die nähere Umgebung am Kiosk ein und aus. Jessica, eine der Nachbarn ist mittags mit ihren beiden Kindern sowie ihrem Hund auf dem Weg dorthin. Als die Kioskbesitzerin die Familie kommen sieht, holt sie schnell eine Lakritzschlange für den fünfjährigen Aryan und ein Hundeleckerli für Wautz hervor. „Der persönliche Kontakt zu den Menschen ist das Wichtigste an der ganzen Sache. 80 Prozent der Kunden kennen wir“, sagt Tölle. Jessica erzählt der Kioskbesitzerin freudig davon, dass sie und ihr Mann kurz davor sind, endlich die Flüge nach Thailand zu buchen. Im nächsten Jahr will die Familie für drei Wochen nach Südostasien reisen. „Erst letztes Jahr haben wir uns mit unserem Haus da vorne einen Traum erfüllt“, erklärt Jessica und zeigt auf ihr Einfamilienhaus am Ende der Straße. „Als nächstes wollen wir alle zusammen nach Thailand.“

 

Im Urlaub waren Ralf Olk und seine Frau seit der Eröffnung des Kiosks vor zwanzig Jahren nicht mehr. Er werde zwar nicht reich, aber er sei zufrieden, erklärt der Bueraner. Frei nehmen könne er sich als Selbstständiger aber eben nicht so einfach. Ganz im Gegensatz zu Sigrid, die mittags in den Kiosk kommt, um sich einen Kaffee zu kaufen. Die Deutschlehrerin schwärmt: „Ich habe mir vor drei Jahren ein Sabbatjahr genommen. Während dieser Zeit habe ich mir meinen Traum verwirklicht: Mit meinem Mann bin ich sieben Monate durch Südamerika gereist.“ Auch sie selbst setze sich dafür ein, dass Anderen die Möglichkeit geboten werde, ihre Träume zu realisieren. „Ich unterstütze beispielsweise ein Mädchen in Bolivien und überweise ihr jeden Monat Geld, damit sie eine vernünftige Schulbildung genießen kann und irgendwann auf eigenen Beinen stehen kann.“

 

Nach Unabhängigkeit streben auch Tijana und Aylina, die sich nach Schulschluss am Kiosk in Ückendorf von Manuela Tölle belegte Brötchen kaufen. „Wir wollen nach der Schule direkt ausziehen – am liebsten nach Köln oder Düsseldorf. Auf jeden Fall würden wir aber in Deutschland bleiben“, so die Freundinnen. Danach versinken sie ein wenig in ihrer Traumwelt. „Vielleicht ziehen wir ja mit einer gemeinsamen Freundin zusammen in eine WG. Das wäre bestimmt lustig!“, kichern die beiden bevor sie wieder ernst werden. „Nach unserem Schulabschluss wollen wir in erster Linie mal eine gute Arbeit finden.“

 

Genau das würde auch die arbeitslose Kerstin gerne, die nachmittags in den Kiosk in Buer kommt, um sich bei Ralf Olk Zigaretten zu kaufen. Mit dabei hat sie ihren Sohn Jason und ihren Hund Flecki. Seit einiger Zeit sei sie auf der Suche nach einem Job, sagt die gelernte Altenpflegerin. „Von daher träume ich davon einen schönen Arbeitsplatz zu finden, bei dem ich gutes Geld verdiene. Dann würde ich gerne mit meinem Sohn in den Urlaub fliegen. Am liebsten in die Sonne.“, erzählt Kerstin und zaubert ihrem Sohn damit ein Lächeln auf die Lippen.

 

Träumen nicht aufgeben

Jung oder alt, groß oder klein, arm oder reich – am Kiosk kommen alle Menschen zusammen. Das bestätigen sowohl Ralf Olk als auch Manuela Tölle. Und von irgendetwas träumen alle ihre Kunden. Den beiden Kioskbesitzern wurden schon die unterschiedlichsten Träume offenbart. Auch sie selbst haben das Träumen nicht aufgegeben. Ralf Olk wünscht sich die Zeiten zurück, in denen es im Ruhrgebiet weniger Arbeitslose gab. Die Leute hätten dann auch wieder mehr Geld, dass sie in den Gaststätten und Trinkhallen ausgeben könnten, schlussfolgert Olk. Er selbst will seinen Kiosk so lange wie möglich selbst führen. Manuela Tölle dagegen möchte sich noch einen ganz besonderen Traum außerhalb ihrer Trinkhalle erfüllen. „Auch wenn ich meine Kunden liebe“, sagt sie lachend, „mein persönlicher Traum ist ein kleines Häuschen am Wasser – und einfach meine Ruhe.“

 

* Diese Reportage entstand während einer in Kooperation von der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und WestLotto organisierten Projektwoche zum Thema „Träumen“. Die verantwortliche Projektgruppe setzte sich zusammen aus Esther Berger, Joelle Marie Czampiel, Markus Großheim, Martin Grünter, Eileen Lechtenbörger, Anna Päseler, Michael Pfleging, Nick Rasmus, Sara Schweckendiek, Pina Szepan und Paulina Wallem
Kioskbesitzer Ralf Olk
Kioskbesitzer Ralf Olk aus Gelsenkirchen