Vertrauen teilen:
12. Februar 2021 / Einblick

Der Staat in der Verantwortung

Eltern tragen Verantwortung für ihre Kinder, und der Staat, wenn auch auf ganz andere Weise, für die Bürgerinnen und Bürger. Doch verantwortlich zu sein, ist gar nicht so einfach.

Verantwortung können wir wahrnehmen, verweigern, einem anderen zuschieben – und an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sogar studieren: Dort geht es um ethische Aspekte von Forschung und ihre Auswirkungen. In unserer demokratischen Gesellschaft übernimmt der Staat Verantwortung dafür, dass wir in Frieden und Freiheit leben können. Artikel 2 des Grundgesetzes verpflichtet ihn, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu garantieren. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Grundrechte miteinander kollidieren können. Um das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen, mussten Versammlungs- und Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Und laut Artikel 20 a schützt der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“.

Wie wir lernten, dem Staat zu vertrauen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in der Bundesrepublik Deutschland die soziale Marktwirtschaft zum Leitbild, um große soziale Ungerechtigkeiten zu verhindern. Das Ziel: Wohlstand für alle. Die Freiheit des Marktes und das Privateigentum sind mit sozialem Ausgleich und Absicherung verbunden. Mit Ausgaben wie zum Beispiel dem Kinder- und Elterngeld oder den Zuschüssen zur Kranken- und Rentenversicherung sowie zur Grundsicherung für Menschen ohne Arbeit kommt der Staat dieser Aufgabe nach. Jedoch hat eine teilweise gesteigerte Nachfrage auch zu Kritik an der staatlichen Fürsorgepflicht geführt. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte das 2003 in seiner Regierungserklärung zur Agenda 2010 auf den Punkt: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen einfordern müssen.“ Und er begründete das mit der „Verantwortung für die Zukunft unseres Landes“. Die Reformen der Agenda 2010 haben den Sozialstaat verändert, und sie sind bis heute umstritten.

Politische Verantwortung heißt, Dinge voranzubringen, Entscheidungen zu treffen und sie dann vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Das unterscheidet sie von der persönlichen Verantwortung. In einer demokratischen Gesellschaft ist beides wichtig: die politische und die persönliche Verantwortung. Jeder Einzelne ist gefragt, sich für Demokratie und Freiheit sowie für den sozialen Rechtsstaat einzusetzen. Denn das sind hohe Güter, die es zu verteidigen gilt. Deshalb sollten wir, die Bürgerinnen und Bürger, uns nicht nur auf den Segnungen des Sozialstaates ausruhen, sondern uns selbst aktiv für das Gemeinwohl einbringen.
Verantwortung hat auch mit Vertrauen zu tun. Die Menschen wollen sich darauf verlassen können, dass es der Staat schon richtet. Die Vertrauenswerte für den Bundestag, die Landesparlamente und regierungen, politische Parteien, Polizei und Gerichte sind nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung weitgehend stabil. Im Jahr 2018 sprachen ihnen 24 Prozent der Menschen das Vertrauen aus, ein Jahr zuvor waren es noch 30 Prozent. Und es sah nicht so aus, als ob sich das bald ändern würde. Doch dann kam Corona. Auch wenn eine kleine Minderheit lautstark gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert: Das Vertrauen in Politik und Regierung ist so groß wie lange nicht. Anfang August 2020 waren knapp zwei Drittel der Menschen mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden oder sehr zufrieden – so der ARD-Deutschlandtrend.

Im Vergleich hat Deutschland die Krise bisher gut gemeistert. Doch die Pandemie verstärkt auch die sozialen Unterschiede. Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss, die sich in der digitalen Welt gut zurechtfinden, sind weniger von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Freistellungen betroffen als jene mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Digitale Teilhabe wird immer mehr zum Schlüssel für soziale Teilhabe. Bei vielen Menschen wächst jedoch die Angst, von der Digitalisierung und dem Einsatz künstlicher Intelligenz überrollt zu werden. Sie fürchten den Verlust ihres Arbeitsplatzes und dass sich ihr vertrautes Leben grundlegend verändert. Schon lange vor Corona, also im Frühjahr 2018, gaben in einer Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft zwar zwei von drei Befragten an, dass sie eine Steigerung der Produktivität durch künstliche Intelligenz erwarten, aber 69 Prozent befürchteten auch, dass dadurch Arbeitsplätze ersetzt werden.

Dem Sozialstaat wird zwar noch immer eine hohe Verantwortung bei der Absicherung sozialer Risiken zugeschrieben, insbesondere bei der Vermeidung von Armut und der Sicherung des Lebensstandards. Doch in einer Forsa-Umfrage für das Forum New Economy sagten 57 Prozent der Befragten, dass der Ausgleich zwischen Arm und Reich nicht mehr funktioniere. 87 Prozent wünschten sich, dass mehr Geld in moderne Schulen und Universitäten, eine bessere Ausstattung öffentlicher Verkehrsmittel und mehr Klimaschutz investiert wird. Auch die Jugend macht sich fürs Klima stark: Sie geht auf die Straße, wirft der Politik und dem Staat Versagen vor – und fordert Verantwortung ein.

Wo wir alle gefragt sind

Doch wer trägt die Verantwortung für die Entwicklungen, die wir als Klimawandel bezeichnen? Der einzelne Autofahrer? Die Wirtschaft? Oder die Gesellschaft? In dem Begriff „Verantwortung“ steckt auch „Antwort“. Die Menschen wollen Antworten auf drängende Fragen. Doch der einzelne Staat scheint in unserer Zeit als Einheit viel zu klein, um diese zu geben. Oder steht er in einer Krise wie der Corona-Pandemie wieder mehr in der Verantwortung? Muss diese nun anders verteilt werden? Reicht es, lautstark etwas einzufordern, oder muss auch der Einzelne entsprechend handeln? Der Philosoph Ludger Heidbrink prägte den Begriff der „unzuständigen Gesellschaft“, in der jeder glaubt, dass jemand anderes für die Dinge verantwortlich ist. Das wird am Beispiel der Klimadebatte besonders deutlich: Viele Menschen sind zwar dafür, den CO2-Ausstoß zu verringern, aber auf das Auto und auf Flüge ins Urlaubsparadies wollen sie nicht verzichten – nicht einmal in der Corona-Krise. Viele wollen auch keinen Strom mehr aus Atomkraft und Kohle, und doch geht mancher sogar gerichtlich gegen Windräder und Stromtrassen vor der eigenen Haustür vor. In Deutschland ist der Pro-Kopf-Verbrauch beim Kohlendioxid-Ausstoß fast doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt. Das zeigt: Die Frage nach der Verantwortung richtet sich nicht nur an den Staat, sondern auch an jeden Einzelnen.

In anderen Bereichen ist es längst selbstverständlich, dass ein Teil der staatlichen Verantwortung auf den Schultern anderer Akteure ruht. Kirchen und Wohlfahrtsverbände oder die mehr als 900 Tafeln übernehmen wichtige soziale Aufgaben. Und vieles wäre nicht denkbar ohne die mehr als 30 Millionen Menschen in Deutschland, die sich ehrenamtlich engagieren: in Schulen, Sportvereinen, bei der Feuerwehr, bei der Betreuung geflüchteter, alter und kranker Personen sowie Menschen mit Behinderung. Auch viele Unternehmen bekennen sich zu ihrer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung. Dazu gehört – auch in einer globalisierten Welt – zum Beispiel, den Sozialstaat durch Steuern im eigenen Land zu unterstützen. Gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, ist an vielen Orten im Land, aber auch auf der ganzen Welt möglich. Sie kann viel bewegen.

Es gibt Themen, bei denen der Staat besondere Verantwortung übernimmt. Ein Beispiel sind die Lizenzen, die er an staatliche Lotteriegesellschaften vergibt. Warum ein Monopol in einem sensiblen Segment wie dem Glücksspiel sinnvoll ist, erfahren Sie auf dem Vertrauensblog von WestLotto: vertrauen.blog/lotterien-was-fuer-ein-monopol-spricht

 

Wie gestalten Führungskräfte die Kommunikationskultur, die Arbeitszeiten und die Teamstruktur? Was bedeutet Selbstbestimmtheit im Arbeitsalltag? Und wie hat die Corona-Pandemie all dies verändert? Drei Geschäftsführerinnen und ein selbst ernannter digitaler Nomade erzählen in „Wer ist hier verantwortlich?“