Was müssen wir tun, damit die Erde auch künftig lebenswert bleibt? Ein kritischer Punkt ist die unaufhörlich wachsende Menge an Plastikmüll.
Penzance in der Provinz Cornwall gilt als erste plastikfreie Stadt Englands: Plastiktrinkhalme werden durch Papierhalme ersetzt, Einwegplastik- durch Holzbesteck. In der Hansestadt Rostock geben Unternehmen mit ihrer Initiative „Plastikfreie Stadt“ ein Vorbild; sie haben Einwegplastik aus ihren Betrieben verbannt. Und Hamburg unterzeichnete Ende Oktober 2019 als eine von 20 europäischen Großstädten die „Antiplastikerklärung“ zur Reduzierung von Plastikprodukten, angefangen in den öffentlichen Verwaltungen.
Plastikmüll: Die Fakten sind erschreckend
Das sind nur wenige von vielen positiven Beispielen für eine Trendwende im Umgang mit dem Kunststoff, die dringend nötig ist. Plastikpartikel und die bei der Plastikherstellung verwendeten giftigen Chemikalien finden sich in unserer Atemluft, in unserem Trinkwasser und im Boden. Laut dem Naturschutzbund Deutschland NABU gelangen jährlich mehr als zehn Millionen Tonnen Abfälle in die Ozeane – rund 75 Prozent davon sind Plastik. Kleine Teile gelangen auch in die Nahrungskette, darunter etwa Mikroplastik aus Alltagsprodukten wie Lacken, Farben und Kosmetik. Laut dem „Plastikatlas“, den der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Heinrich-Böll-Stiftung 2019 veröffentlicht haben, wurden zwischen 1950 und 2015 weltweit 8,3 Milliarden Tonnen Plastik produziert. Das entspricht mehr als einer Tonne pro Mensch. Nur neun Prozent des jemals produzierten Kunststoffs wurden recycelt.
Dabei steigt die weltweite Nachfrage nach Kunststoffen sogar noch an. Bis 2030, so schätzt die Chemiebranche, könnte sie sich verdoppeln. „Das Wachstum ist ungebrochen, die Prognosen sind katastrophal“, so BUND-Abfallexperte Rolf Buschmann. Die Gründe dafür sind unter anderem der wachsende Wohlstand in bevölkerungsreichen Ländern Asiens. Auch Megatrends, etwa in der Mobilität, in der Medizin oder auch im Bau, lassen den Kunststoffbedarf steigen. So kommen die Leichtbauweise bei E-Fahrzeugen und Hartschäume für die Gebäude-Isolierung nicht ohne Plastik aus.
Ein Alltag ohne Plastik ist heute undenkbar
Wir haben uns an Gegenstände aus Plastik gewöhnt: von Spielzeug über Kleidung – hergestellt aus Chemiefasern wie Polyester – und Möbel bis hin zu allen Arten von Lebensmittelverpackungen. In vielen Bereichen ist es sehr nützlich: Man denke etwa an die Bauwirtschaft oder an Krankenhäuser. Es ist jedoch ein Unterschied, ob Kunststoffe langlebig zur Gebäudedämmung oder für hochwertige medizinische Produkte eingesetzt werden oder für den schnellen, bequemen Konsum.
In Sachen Konsum steht insbesondere Verpackungsmüll im Fokus: Wie das Umweltbundesamt (UBA) im November 2019 bekanntgab, stieg dessen Menge in Deutschland 2017 auf den Rekordwert von 18,7 Millionen Tonnen. Private Verbraucher waren daran knapp zur Hälfte – mit 107 Kilogramm pro Kopf – beteiligt. Gründe sind unter anderem das vermehrte Essen und Trinken zum Mitnehmen und der wachsende Online-Handel. Schon in der Produktion solle Abfall vermieden und auf „unnötige und unnötig materialintensive Verpackungen“ verzichtet werden, forderte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger.
Von #Kaufnix bis Unverpackt
Die Deutsche Umweltstiftung ruft die Menschen mit ihrer Kampagne „#Kaufnix“ dazu auf, den Konsum möglichst herunterzufahren, bei ihren Käufen bewusster zu entscheiden und öfter mal Nein zu sagen. So lässt sich Material sparen. Doch auch Einkaufen funktioniert heute ohne Verpackungen, zeigen Unverpackt-Geschäfte. Nudeln, Reis oder Nüsse, aber auch Waschpulver und Shampoo kann der Kunde dort in selbst mitgebrachte Behälter abfüllen. Auch größere Bioläden bieten dies an. Und selbst ein Einkauf im herkömmlichen Supermarkt eröffnet ungenutztes Potenzial: Allein Getränkeverpackungen machen mehr als ein Viertel der Verpackungsabfälle in Deutschland aus. Gut die Hälfte von ihnen sind laut UBA Einwegplastikflaschen. Der Anteil der Mehrwegflaschen dagegen ist seit 2010 auf 48 Prozent gesunken. Wer Einweg wählt, sollte sich bewusst machen, dass die Recyclingquote bei Plastik-Verpackungsmüll nur bei knapp 50 Prozent liegt. „Wir Deutschen sammeln mit unserem Tonnensystem zwar sehr viel. Trotzdem wird ein großer Teil des Plastikmülls verbrannt oder exportiert, insbesondere nach Südostasien“, so Buschmann vom BUND.
Vermeidung in der Produktion, mehr Recycling und Alltagslösungen für ein Leben mit weniger Plastik – das sind Ziele, die Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei der Vorstellung ihres Fünf-Punkte-Plans Ende November 2018 ausgab. Der daraufhin etablierte Runde Tisch zur Plastikvermeidung schafft ein Forum, um Lösungen anzubieten. Allerdings: Auf verbindliche Vereinbarungen haben sich Handel, Industrie, Politik, Verbraucher- und Umweltschützer zunächst nicht geeinigt. Dabei wünschen sich laut einer Umfrage des Forsa-Instituts 84 Prozent der Bürger mehr Verbote bei Einwegplastikartikeln und beim Einsatz von Mikroplastik in Kosmetika und Reinigungsprodukten.
Wie gut ist „gut“?
Immerhin hat Ministerin Schulze ihr Plastiktütenverbot durchgesetzt. Doch es gibt auch Kritik: Manche Plastikverbote führen zu Ausweichstoffen, was am Ende noch größeren Schaden anrichten kann. Ein Beispiel ist der Jutebeutel aus konventioneller Baumwolle, der unter hohem Wasserverbrauch und Pestizideinsatz hergestellt wird. Er ist laut NABU nur dann umweltschonender als Plastiktüten, wenn er geschätzt mindestens 100-mal benutzt wird. Auch Papiertüten kommen im Vergleich zur Plastiktüte überraschend schlecht weg: Studien haben ergeben, dass für ihre Herstellung mehr Wasser und Rohstoffe benötigt werden und dabei mehr Kohlendioxid entsteht.
Die Suche nach der richtigen Lösung ist also schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint. Unnötige Verpackungen vermeiden, Mehrweg wählen, Einkaufsbeutel möglichst häufig benutzen, generell umweltbewusster einkaufen – Verbraucher können vieles tun. Aber auch die Unternehmen müssen mithelfen. Ein Beispiel ist der Chemiekonzern BASF, der 2018 „Chemcycling“ startete: Altplastik wird in erdölbasierte Rohstoffe zurückverwandelt und kommt so wieder in den Produktionskreislauf. An dem Projekt beteiligt sich auch der Konsumgüterhersteller Henkel.
Das Bewusstsein für die Plastikflut ist auf vielen Ebenen da. Es braucht aber Zeit und einen kontinuierlichen Lernprozess, um sich ihr entgegenzustemmen. Angesichts der Größe der Aufgabe müssen sich alle ihre Verantwortung klarmachen: Politik, Unternehmen und Verbraucher. Und danach handeln.